R E B U S – Bilder und Objekte

Karl-Heinz Eckert

Die Überbrückungskabel an der Oberleitung von elektrischen Verkehrssystemen sind der Gegenstand einer Photoserie von Karl-Heinz Eckert. Wer dessen graphische, häufig photographischen Arbeiten kennt, erblickt hier Wesen, die ihm aus ganz anderen Zusammenhängen schon begegnet sind, wo sie vielleicht aus Glas oder Schatten, Knitterfalten oder Baumrinde unerwartet herausschauen. Sie haben eine Identität, jedes geradezu Persönlichkeit, aber keine Namen. Ihre Namenlosigkeit ist, wie im Märchen, ihr Triumph, sodass es auch eigentlich nicht erlaubt scheint, über sie Worte zu machen, ihren Charakter nennen zu wollen, der bloß zu sehen ist. In ihrer unaussprechlichen Individualität haben sie bloß dies eine, ihre ausschließliche, überaus prägnante Sichtbarkeit gemeinsam. Sie gehören zur Familie des Schönen.

„Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur. Wer sie heraus reissen kann, der hat sie.“ Der Satz findet sich in der Proportionslehre von Albrecht Dürer, 1528, und beweist das ansehnliche Alter der kritischen Erörterung von Kunstproduktion und ihres Wahrheitsgehaltes. Eckerts extrem positioniertes Werk ist davon ein Teil. Zu Zeiten findet diese Erörterung verbalen Ausdruck. Das Lebenswerk von Adolf Loos, Baukörper und Möbel, ist von Texten begleitet, die in ihrer Leidenschaftlichkeit (Ornament und Verbrechen) einen kuriosen Kontrapunkt zu der Coolness bilden, um die ihm zu tun war. Die Tabuisierung des Ornaments war aber nicht etwa dessen Vernichtung, sondern die Totalisierung des Prinzips. Jedes seiner Gebäude, welche schmucklos zu sein beabsichtigten, wurde an sich ein Schmuckstück. Die Arbeiten von Karl-Heinz Eckert enthalten sich jedes formalen Aufwands, sind aber durch die pure Struktur der Gedanken, die ihnen zugrunde liegen, scharfe Argumente in der Erörterung, was Kunst ist. Dürers Satz erhebt sich an drei Punkten über das Niveau einer oberflächlichen Kenntnisnahme: Der dritte, hintenan, ist die Behauptung, die Kunst sei zu haben. Der zweite, in der Mitte des Satzes, ist das Herausreissen. Um die erste frontal stehende Satzaussage, daß Kunst in der Natur zu erblicken ist, hinsichtlich ihrer polemischen Brisanz richtig einzuschätzen, muss man sich vor allem den Zeitpunkt vor etwa 500 Jahren bewusst machen. In Nürnberg war Dürer womöglich der einzige, der das Mittelalter, dem die Natur Inbegriff des Bösen gewesen war, so weit hinter sich gelassen hatte, wie zu erkennen ist. Fürs mittelalterliche Denken war die Kunst Ausdruck des heiligen Geistes, den Gott unvermittelt (oder durch fromme Auftraggeber vermittelt) den Künstlern eingab, sodass Dürers Feststellung den blitzartigen Kurzschluss zwischen Gott und dem Bösen herstellte. Die Heftigkeit des Vorgangs und begleitende emotionale Erregung, die wir im Dürerschen Wortlaut wahrnehmen, wird nur scheinbar durch die etymologische Erklärung gemäßigt, dass „reissen“ damals der sachliche Ausdruck für Zeichnen war, die absichtsvolle Bewegung der Feder auf dem Papier, möglicherweise verbunden mit dem Geräusch, welches das sträubende Material von sich gab. Die nachfolgende Kunstgeschichte macht zur Genüge klar, dass die Gewinnung der „wahrhaftigen“ Kunst aus der Natur zu keinem Zeitpunkt ein gleichmütiges Abzeichen dessen gewesen ist, was jeder zu sehen glaubte, vielmehr eine mühe- und widerspruchsvolle Ermittlung, wo im historischen Erscheinungsbild die Natur zu erblicken ist.

Das ist auch das Arbeitsfeld von Karl-Heinz Eckert. Obwohl heutzutage dem nächtlichen Spaziergänger in der Berliner Innenstadt, wenn kein Feldhase, so doch zuweilen ein Fuchs begegnen kann, verlangt die Anwendung des Dürerschen Satzes auf das Werk von Karl-Heinz Eckert, dem Begriff Natur in diesem Zusammenhang weitergehende Erklärung zu widmen. Während sich die faktische Kunstgeschichte einerseits durch das Marktprinzip, d. h. aus dem Umstand fortgeschrieben hat, dass die gesellschaftlich Vermögenden sich in den nützlichen Besitz des Schönen zu bringen versuchten, um den an sich unschönen Vorkommen der Machtverhältnisse durch die Indienstnahme der Kunst tatsächliche oder vermeintliche Verschönerung oder gar Beschönigung zukommen zu lassen, besteht die andere Triebfeder der Kunstgeschichte darin, dass sich die Künstler selbst beauftragen, die fortwährende Fälschung, die die Folge der Indienstnahme ist, dadurch zu demaskieren, dass die  unvermittelte Herkunft des Schönen aus der Natur erneut zur Geltung gebracht wird. Natur, in diesem Sinn, bedeutet allgemein das durch Manipulation, eventuell sogar künstlerische, noch nicht Verunklärte. Schön ist, die Dinge zu erblicken, wie sie sich von selbst darstellen.

Diese Überbrückungskabel sind in ihrem Zusammenhang innerhalb des Oberleitungssystems dadurch auffällig, daß sie die durchgehende horizontale Gespanntheit des ganzen Systems auslassen und durch völlige Lässigkeit beantworten. Man weiß zugleich, daß die elektrische Spannung gerade hier übertragen wird. Die doppelte, mechanische und elektrische Spannung, die das System durchweg ununterscheidbar enthält, kommt an diesen Stellen plötzlich zu einer Anschaulichkeit, die den absichtslosen Beobachter überrascht, vielleicht ohne ihm zu Bewusstsein zu kommen. Dieses spezifische Sichtbarwerden im Rahmen einer allgemeinen Verborgenheit ist der Einstieg der künstlerischen Arbeit in einem Bereich, dessen technische Installation ihr weit und fremd gegenüberliegt. Die innige Berührung von Kunst und Natur, die seinerzeit Dürer zur Sprache gebracht hat, kommt ganz unerwartet sprechend in Sicht.

Der bündige Wortlaut in Dürers Satz lässt die Vorstellung bestehen, man könnte die Kunst endgültig „haben“. Aber die Lehre, die die Kunstgeschichte erteilt, zeigt, daß eine Verbindung zwischen der Inbesitznahme des Begriffs und dem Verfallsdatum seines Inhalts besteht. Zwar bleibt der Geldwert der historischen Kunstwerke bestehen, bzw. ist der einigermaßen irrationale Gegenstand eines Prozesses von Wertsteigerung, aber erst nachdem der zugehörige Kunstbegriff versteinert ist. Das „Haben“ in dem Satz von Dürer bedeutet das Sehen und Begreifen, evtl. Machenkönnen, nicht aber das Besitzen von Kunst. Das Schöne an der Kunst ist, dass man sie nicht in Besitz nehmen kann, ohne sie zugleich wieder zu verlieren.

Fritz Rahmann


Alle abgebildeten Arbeiten sind Digitaldrucke im Format A2, 420 x 594 mm, Auflage 3 + 2 Künstlerexemplare.
Eine Liste der Werke finden sie hier.

Karl-Heinz Eckert, geboren 1950 in Halle/Westfalen, lebt seit 1970 in Berlin.
Stipendien:  1988 PSI-Stipendium, New York / 1991 Arbeitsstipendium für Fotografie der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten, Berlin / 1993 Stipendium in den Gertrude Street Artist Spaces, Melbourne / 1996 Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds
Diverse Ausstellungsbeteiligungen und Ausstellungen u.a.: Berlinische Galerie, Württembergischer Kunstverein, Kunstpalast Düsseldorf, Goethe Haus New York, Galerie Wittenbrink, München, Haus am Lützowplatz, Berlin, Galerie Georg Nothelfer, Berlin, Galerie Zwinger, Berlin