Text Max Schmidtlein

Ich hätte das Unterhemd wechseln sollen, die Zähne putzen, das Fenster öffnen, Kaffee trinken. Doch die Zeremonie, bei der die Namen der Verteidigung und der 126 Nebenklageanwälte vorgelesen werden, ist das Beste. Man möchte die Hände falten vor lauter Freude über das gleichsam dumpfe wie dunkle Eingeschlossensein in das Gebilde aus Beobachtung.

Zschäpe tritt mit einer pinken Kunststofftasche auf, aus der sie gleich ihr 1,5 ja! Tetra Pak Wasser herausholen wird.

…Rechtsanwalt Trackl, Rechtsanwalt Dickbarsch, Rechtsanwältin Kammerl…

Auch der tätowierte Obersicherheitspunk faltet die Hände. Heute Zeuge K&K Schneider und später, falls die Zeit noch reichen würde, K&K Kreuzer, Greutzer oder Reuzer.

Schneider sitzt da. Man sieht seinen von einem kurz geschnittenen Haarband umkränzten Schädel von hinten oben leicht vor- und zurückwippen. Behandelt wird die durch ihn vorgenommene Vernehmung des Zeugen Thomas Müller, ehemals Starke, von 2012. Starke sei freundlich, Sprengstoffbeschaffung durch Herrn Tschirner 1996 oder 97, niemand habe viel Geld bezahlen müssen. Zweiter Themenkomplex die Jenaer Clique, dritter das Landserverfahren und das Ausscheiden aus jener.

Links neben diesem Heft kommentiert das Geschehen ein dialektisches Flüstern, das so sehr an Straubing erinnert, und jenes Zunichtemachen eines Gedankens an etwas, wie frei von etwas zu sein. Daran, den Kopf in die Brunnenkuhle am Hauptplatz gelegt zu haben, um den Saft der Stadt aus den eigenen Poren zurück in sie hinein rinnen zu sehen und zu denken, man habe nun wirklich etwas verstanden.

K&K Schneider wird jene Szene unzählige Male geprobt haben. Verknüpfungen, Beschuldigungen, Vorkommnisse und Namen der 90er-Szene. Niemand wagt auf die Übertreibung seiner Art aufmerksam zu machen, die so schön die Konstruiertheit des Verfahrens offenlegt, dass sie als Beschreibung des Ganzen hier besser nicht sein könnte. Bestimmt beruhigend gedachte Gestik untermalt halblange Beamtensätze, die knapp über den Tisch hinweg in den Raum fallen.

Götzl hält das Protokoll vor.

Starke, Spitzname der Lange, kooperative Übergabe verdächtiger Gegenstände, ein weinroter Ford Mondeo Kombi…

Im Grunde sitz man nur da, verkatert oder nicht, fühlt irgendwas, denkt irgendwas, hört etwas. Das war mir nicht mehr innerlich, erinnerlich innerlich?

Ein Aktenantrag wird eingereicht, zehn Minuten Pause.

Der psychiatrische Gutachter Zschäpes mustert mich, ich versuche noch härter zurück zu mustern, doch sein Blick wandert zu der Gruppe Idioten, die gerade den Zuschauerraum betreten hatte. Sie unterhalten sich zu laut über die strengen Sicherheitskontrollen und ähnliche Erlebnisse an anderen Orten … besonders seit nine eleven … über das Internet der Dinge, Smartphones im Allgemeinen, die Gefahr durch Drohnen, die Sicherheitskrise.
Theaterleute, schätze ich und würde sie gern mit einem einfachen Blick zerstäuben, um mir diesen blinden Fleck der Beobachtung wieder zu eigen zu machen. Mein Kugelschreiber geht ohnehin gerade aus.

Antrag Akten VS-NFD

Timo Brand, Tag X, 10–15 Pogromly Spiele, Fundraising

Die JVAler, die auf alle achtgeben müssen, sind müde fette Schwämme auf Stühlen. Unter der Uniform und der Schlaffheit ihrer gekrümmten Haltung, den hängenden Gliedern kann man doch einigermaßen gut trainierte Körper ausmachen. Auch ihr hohles Schielen, das sie sich gegenseitig beruhigend zuwerfen, verdeckt nur schlecht die dahinter liegende Verunsicherung. „Züchtigung als doppelt körperliche Arbeit“ wird von mir notiert.

Vorführer erklärt mir einer, heißen die an einem Ende platt gedrückten, im Gesamten einer Acht ähnlichen polierten Metallzangen an ihren schon mit hundert anderen Sachen behängten Gürteln. Ich verstand immer noch nicht. Ob er es mir mal zeigen dürfte. Das runde Ende springt durch sein Drücken auf der platteren Seite auf und schließt sich um mein Handgelenk. Wenn man nicht folge, meint er, und dreht ihn so, dass er das Werkzeug um meinen rechten Speichenknochen und mich damit in die Knie zwang.

und dann?

Elke, Ivonne, Krause jetzt Maier: Lebensinhalt THS und Nazikonzerte, Starke hätte mehr Lust auf Trachtenabende und Partys und Aktion und keinen Bock auf das intellektuelle Getue. Brand Kopf, Wolleben irgendwie auch, Kapke die Faust. Jan Werner hatte nach der Landsergeschichte erst wieder angerufen, ob Starke mit zur Harald Schmidt Show wolle.
Sonst? Mein Elternhaus ist in Gefahr und ich kann nichts dagegen tun. Vielleicht um die eigene Haut kümmern, die Ellenbogen und die endlos blutende Stelle am Rücken mit Psorcutan Plus einstreichen.
Der Blick des Zuschauers fällt auf die so unverständlich oft zitierten grusligen Haare Zschäpes, gleichzeitig wird ihm die Unzulänglichkeit der eigenen Betrachtung bewusst.

Dem Kommissar wird derweil das Protokoll immer öfter vorgehalten. In der Mittagspause mit L telefoniert, wir haben uns nichts Gutes, zumindest nichts Neues zu sagen.

Zeugin: Wohlleben, Jaqueline, 33, Mitarbeiterin im Kundenservice, Leinenrock, dickes lila Brillengestell, blond mit lila Strähnchen, macht keine Angaben und darf sich zu ihrem Gatten setzten. Beide grinsen. Wohlleben sieht man einfach an, dass er ein Arschloch ist. Unter der Tischplatte krampfiges Streicheln und Nesteln der Hände, das Reiben der Schenkel, ihre Körper einer. Oberhalb wie Leichen nach links und rechts geneigt.